GESUND GEHT VOR
Die drängendste Aufgabe der Branche? Sich mehr um die Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kümmern, mahnen Experten wie Frank Wagner, Präsident des Planerverbandes FCSI Deutschland-Österreich. Ein Vorbild könnte das Studierendenwerk OstNiedersachsen sein.
Es sind Dutzende Normen und gesetzliche Vorgaben, die das Schaffen von gesunden Arbeitsplätzen im Auge haben. Frank Wagner kennt sie alle: „Sie sind gut und richtig.“ Und trotzdem: „Wir können alles einhalten. Aber denken wir etwas nicht konsequent zu Ende, kann die Gesundheit des Teams erheblich leiden.“ Klar ist: Arbeiten in Profiküchen belastet.
Lange Wege, schweres Heben, eiskalte und heiße, dampfende Arbeitsbereiche nebeneinander, Hektik und Stress durch zeitweise Überlastung, dazu mancherorts Röststoffe in der Luft, die zwar gut duften – aber ein krebserregendes Potenzial aufweisen. Letzteres ein Thema, das Wagner umtreibt: Er weist auf eine internationale Studie hin, die Köchen aufgrund der Arbeitsbedingungen eine der geringsten Lebenserwartungen attestiert. „Das darf so nicht bleiben – es kann nicht sein, dass wegen ein paar Euros ein Koch frühzeitig an Krebs stirbt.“
Wagner macht drei gesundheitliche Großbaustellen aus: „Wir müssen uns mehr um den Abbau von Stress, um eine gesunderhaltende Lüftung und mehr Ergonomie kümmern.“
Gesund führen: Vertrauen als Schlüssel
Die Gesundheit aller am Arbeitsplatz – im Studierendenwerk OstNiedersachsen nimmt man sich des Themas schon lange proaktiv an. „Die Gesundheit und Zufriedenheit unserer Mitarbeitenden zu fördern und zu erhalten, ist eine Aufgabe mit vielen Facetten“, verdeutlicht Michael Gruner, Leiter der Hochschulgastronomie mit 240 Mitarbeitenden. „Das versuchen wir auf mehreren Ebenen gut umzusetzen.“ Ergonomie, ruhige Prozesse, das gute, stressfreie und soziale Miteinander gehören für ihn dazu. Hier geht man teils bemerkenswerte Wege. Zwei Beispiele aus dem Bereich Personalführung und Ergonomie.
In 2019 startete man ein eher außergewöhnliches Projekt, begleitet durch die AOK: „Gesund Führen“. Das mag als Leitbild wohlfeil klingen, nach schön geschriebenen Zielen für den Geschäftsbericht. Tatsächlich ist es für alle eine nicht immer einfache Lernstrecke, ein Projekt, das eigentlich nie endet. Das Ziel: „Wir möchten untereinander Vertrauen aufbauen, das soziale Miteinander und die psychische Gesundheit aller stärken und erhalten“, so Gruner. Man baute dabei auf Werten und Tools auf, die man im Studierendenwerk schon ab 2011 in einem EU-Projekt zu Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz erarbeitet hatte. Basis waren 11 intern und gemeinsam formulierte Leitwerte für die eigene Arbeitswelt: „Wie wollen wir miteinander umgehen?“ Offenheit, Vertrauen und Transparenz sind drei dieser Leitwerte. Gesund Führen beinhaltet heute eine Vielzahl von Maßnahmen, etwa das Einbinden der Mitarbeitenden in Veränderungsprozesse, das Wertschätzen der Leistungen oder die offene Fehlerkultur. Dazu zählt eine eher ungewöhnliche Maßnahme: dem Chef die Meinung sagen. Was nach einer heiklen Mission für beide Seiten aussieht, ist geübt, gut vorbereitet, auch mit schriftlichen Leitfäden, wird teils durch externe Partner wie die AOK moderiert.
Dieses Führungs-Feedback, wie man es intern nennt, baut auf herkömmlichen, lange etablierten Feedback-Gesprächen auf: Rund alle 15 Monate erhalten alle im Team von ihrer direkten Führungskraft eine Rückmeldung. Dabei geht es nicht um die fachliche Beurteilung. „Wir möchten eine wertschätzende und konstruktive Rückmeldung zu persönlichem Verhalten und Arbeitsverhalten geben“, betont Gruner. Heißt: „Im Mittelpunkt steht der Mensch, seine persönliche Entwicklung und persönlichen Interessen.“ Das innovative und neu eingeführte Instrument des Führungs-Feedbacks läuft genau andersherum – ob Rückmeldung des Kochs an seine Produktionsleiterin, der Spülkraft an den Leiter Spülküche oder des Bereichsleiters an seinen Chef Michael Gruner. Ein Ziel: „Wir wollen, dass sich alle wohlfühlen, es soll sich nichts anstauen.“ Es sind vertrauliche Gespräche in einem geschützten Rahmen: Was läuft gut im sozialen Miteinander, wo könnte es Verbesserungen geben? Noch läuft die erste Runde des innovativen Führungs-Feedbacks, das man seiner direkten Führungskraft als Einzelperson oder im Team geben kann. Doch schon heute steht für Gruner fest: „Wir spüren so Verbesserungspotenziale auf, erhalten richtig gute Anregungen.“ Das könne Arbeits- und Urlaubszeiten betreffen, Arbeiten in Hektik, den Umgangston, Wünsche zum Arbeitsplatz, zur besseren Ergonomie. So lasse sich vieles ausräumen, Stress reduzieren, das Miteinander verbessern. „Und wir profitieren vielleicht auch deshalb von einer der geringsten Fluktuationen in der Branche.“
Und sein Fazit zum Führungs-Feedback seiner Mitarbeitenden an ihn? Gruner schmunzelt: „Es ist ja vertraulich. Aber es war für mich eine sehr interessante Erfahrung, eine Rückmeldung zu sich selbst zu erhalten. Wie wird man gesehen? Wo sind Schwächen? Unter dem Strich gibt es mir Sicherheit.“
Spülraum mit ergonomischem Hingucker
Gesunde Prozesse und Ergonomie am Arbeitsplatz – es sind oft Kleinigkeiten, die Gutes für die Gesundheit bewirken, weiß Gruner. Als Beispiel: „Wir haben in der neuen Produktionsküche mit unserem Planer Peter Adam-Luketic von vtechnik Planung viel realisieren können, was allen hilft.“ Beispiel: Durchreicheschränke zwischen der Produktionsküche und der Ausgabe reduzieren nun die Wege mit schweren 20 kg-Behältern für das Personal erheblich – auch durch Einfahrwagen für die Behälter.
Die wohl größte technische Veränderung mit dickem Gesundheitsplus realisierten die Verantwortlichen kürzlich im Spülbereich der Mensa Hildesheim. Gemeinsam mit Meiko und dem Team von vtechnik Planung tüftelte man monatelang und geheim an der Neuheit – dem Automatisierungsmodul M-iflow IPB. „Sie lockt heute noch immer viele Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen an, es ist schon ein Hingucker“, kommentiert Michael Gruner. Denn hier steht eine der ersten beiden Anlagen weltweit, mit der die wahrscheinlich unattraktivste Aufgabe in Profiküchen entfällt – das händische Abkratzen von Speiseresten am laufenden Bande. Das sind hier in der Mensa Hildesheim immerhin bis zu 3.000 Geschirrteile täglich. Das neue Automatisierungsmodul übernimmt die Aufgabe, entlastet das komplette Team im Spülbereich und wertet den Arbeitsplatz erheblich auf. In Verbindung mit der installierten Nassmüllanlage von Meiko ist das Entsorgen von Essensresten nun komplett automatisiert – nur die Geschirrteile sind einmal bequem auf das Transportband zu setzen. Dazu Gruner: „Das ist schon eine sehr besonders ausgeklügelte Lösung, die uns wirklich begeistert – und das alles ohne Chip und technischen Schickimicki, für uns einfach umsetzbar.“
Einen Riesenvorteil vor Ort: Es entfallen viele tausende unergonomische Dreh- und Bückbewegungen – innerhalb von zwei Arbeitsstunden. Die Aufgabe des Schmutzgeschirrs kann heute eine Person erledigen – zuvor waren für die täglich 2.000 Essen in Hildesheim zwei bis drei Kräfte notwendig. Rund 60 Geschirrteile bzw. 25 Tabletts pro Minute kann eine Spülkraft locker bewerkstelligen. Und: An diesem Arbeitsplatz ist es heute leiser, die Wrasen kommen nicht mehr in die Nähe der Spülkraft und das Bediendisplay ist in Sichthöhe. Dazu Thomas Loos von Meiko: „Das war unser gemeinschaftliches Ziel: Wir wollten das Thema Gesundheit ganzheitlich denken.“
Gruner freut sich über die höhere Effizienz durch das neue Automatisierungsmodul, betont jedoch: „Im Vordergrund steht klar die deutlich verbesserte Arbeitsplatzqualität – wir müssen Mitarbeitende nicht nur halten, sondern sie auch gesund erhalten.“
Bitte mehr Frischluft
Neben Stress und mangelnder Ergonomie ist laut Frank Wagner falsche Lüftung einer der größten Krankheitsverursacher der Branche. „Wir haben mit der VDI 2052 und der EN 16282 wichtige Normen zur Auslegung einer Lüftung.“ Doch deren Existenz allein sei nicht hinreichend, erstens: „Es ist fatal für die Gesundheit der Kollegen, die in Betrieben ohne Lüftungsanlage arbeiten.“ Das ist zulässig bis zu einem Anschlusswert von 25 kW. Zweitens: „Abseits der Normen ist wichtig, dass der Koch immer in einer Frischluftwolke steht und alle schädlichen Stoffe auch wirklich an ihm vorbei- und nicht durch ihn hindurchgeführt werden.“ Moderne technische Systeme sorgen für solche Frischluftwolken – installiert zum Beispiel in der neuen Mensa Arcisstraße des Studierendenwerks München. „Hier strömt ständig frische Luft in bodennahen Auslässen direkt in den Küchenbereich ein,“ erläutert Philipp Missbach von Halton. „Das heißt: Köche haben direkt am Arbeitsplatz stets ausreichend frische Luft.“
Raumklima verbessern dank Koch und KI
Nun kann eine Lüftungsanlage installiert sein, trotzdem ist das Raumklima nicht wie gewünscht. Philipp Missbach macht immer wieder typische Stolperfallen und Hürden aus – die Liste ist lang, hier einige Beispiele:
- „Haben Mitarbeiter das Gefühl, es zieht oder es ist zu kalt, wird die Lüftung leider heruntergeregelt oder abgestellt.“ Heißt: Das Team sollte den Luftaustausch als behaglich „Wir empfehlen eine Zulufttemperatur von etwa 20° Celsius und eine Geschwindigkeit des Luftstroms von nur 0,2 bis 0,4 m/sec, je nach Technik.“
- Die Lüftung wurde geplant – aber ohne Input von Koch oder Küchenteam zur tatsächlichen Nutzung. „Dann fehlen wichtige Informationen zur korrekten Auslegung der Lüftungsanlage“, so Missbach. Denn aus diesem Wissen ermitteln die Fachleute den korrekten Gleichzeitigkeitsfaktor – wie viele thermischen Geräte laufen in welcher Zone gleichzeitig, geben Wärme, Feuchtigkeit bzw. Wrasen und Schadstoffe an die Küche ab?
- Das ursprünglich zugrunde gelegte Nutzungskonzept wird verändert, die Lüftungstechnik einer Zone passt nicht mehr zum Arbeitsplatz darunter. Fritteuse oder Kombidämpfer sollen in einen anderen Arbeitsbereich, ein Konzept-Change durch einen neuen Caterer sortiert Arbeitsbereiche neu. Missbach rät, dann stets eine Fachkraft zur Lüftungsplanung hinzuziehen. „Auch unsere 20 Ingenieure können unterstützten.“
- Manchmal scheitert gute Luft an einem Mix aus baulichen Restriktionen, zu wenig Wissen oder Budget. „Sind etwa Kombidämpfer in Nischen platziert, lässt sich das durch eine korrekt installierte Anlage darüber abholen – aber meist nicht mit einer Lösung von der Stange. Auf die wird dann schon mal verzichtet.“ Ebenfalls nicht hilfreich sind reine Absauganlagen, ob in oder über Geräten installiert, die keine Frischluft zuführen.
- Missbach und seine Kollegen machen manchmal Planungsfehler in der Dimensionierung aus, verursacht durch Kollisionen in der Planung von Lüftung und Thermik. Hier könnte BIM helfen. „Aber leider ist das in Deutschland im Vergleich zu internationalen Planungen noch nicht so verbreitet“, bedauert Planer Frank Wagner. Solange BIM nicht in einem Projekt eingesetzt wird, empfiehlt Missbach das: „Die Lüftungsplanung kann und darf wirklich erst dann starten, wenn die Einrichtung der Küche feststeht.“
Eine gute Sache für gesunde Luft sind laut Wagner intelligente Bedarfsregelungen mit KI: „Der Kochprozess beginnt, und schon reagieren die Infrarot-Sensoren der Lüftungsanlage.“ Das ist gerade zu Beginn wichtig – auch die ersten entstehenden Stoffe werden sicher erfasst und abgeführt.
„Wir empfehlen, die Arbeitsbereiche der Küche in möglichst feine Zonen einzuteilen“, so Missbach. „So lassen sich durch die bedarfsgerechte und intelligente Steuerung Marvel[1] ganz fix feinste Zustandsänderungen abholen – die Lüftung ist weniger träge“, erklärt der Fachmann. So sind in Campusgastronomien oft bis zu 15 unterschiedliche Zonen definiert, die an der Decke mit entsprechenden Lüftungszonen abgeholt werden.
[1] Marvel = Model-based Automated Regulation of Ventilation Exhaust Levels (modellabhängige automatische Abluftregelung): vorausschauend agierendes System auf Basis eines Algorythmus
Fazit: „Gesunde Luft ist eigentlich kein Hexenwerk“, so Frank Wagner. „Aber wir müssen unsere Aufgabe verantwortungsvoll wahrnehmen und mehr auf den Mitarbeiter schauen.“