In Göttingen liegt die Verpflegung von 30 Schulen und 13 Kindertageseinrichtungen fest in städtischer Hand. Eine kommunale Einrichtung betreibt vier Produktionsküchen mit insgesamt 88 Mitarbeitern. Über das Erfolgsmodell sprachen wir mit der Qualitätsbeauftragten Anja Köchermann. (Von Dörte Wehmöller)
Als die Diplom-Ökotrophologin Anja Köchermann 2007 von der Stadt Göttingen den Auftrag bekam, als externe Beraterin die Kita- und Schulverpflegung der Stadt einer ausführlichen Bestandsanalyse zu unterziehen, waren für sie die DGE-Qualitätsstandards als Richtschnur gesetzt. Für Köchermann, die mittlerweile als Fachdienstleitung für die Kita- und Schulverpflegung bei der Stadt angestellt ist, waren die Ergebnisse der Bestandsaufnahme nicht erstaunlich: Es gab Lücken zwischen wissenschaftlicher Empfehlung und der Wirklichkeit. „Die Stadt Göttingen betreibt als Schulträger seit über 40 Jahren eigene Großküchen für die Schul- und Kitaverpflegung. Mit dem Ganztagsschulgesetz 2003 stellte sich in den nachfolgenden Jahren die Frage, wie sich die Verpflegung hochwertig, bedarfsgerecht und wirtschaftlich anbieten lässt“, beschreibt Anja Köchermann den Ausgangspunkt.
Das Göttinger Modell
Aufbauend auf dieser Bestandsanalyse entwickelte die Stadt ein Qualitätsentwicklungskonzept. Seither beschreibt „Das Göttinger Modell – ein kommunales Schulverpflegungskonzept aus einer Hand“ die Verpflegungsstandards für alle städtischen Einrichtungen. Ein Kernstück ist, dass in den Schul- und Kitaküchen städtisches Personal tarif- und sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. „In den letzten zehn Jahren haben wir unsere Essenzahlen verdoppelt, das Angebot und die Qualität stetig gesteigert und die Wirtschaftlichkeit nachweislich und maßgeblich verbessert“, fasst Anja Köchermann zusammen.
Einheitlicher Speiseplan
Von den vier Produktionsküchen arbeiten drei nur für Schulen und Kitas, die vierte produziert Mahlzeiten ausschließlich für die städtischen Mitarbeiter. Mittlerweile werden täglich 5.500 bis 6.000 Essen für die Kinder und Jugendlichen produziert. „Wir liefern das Essen für die Kitas und für einen Großteil der Schulen warm aus. Einige der Schulmensen haben auch Gargeräte, mit denen wir sensible Speisen wie Pizza oder Backkartoffeln vor Ort herstellen können“, erklärt Köchermann. Der Speiseplan ist für alle Einrichtungen einheitlich, aber auf die unterschiedlichen Altersgruppen abgestimmt. Das Speisenangebot ist abwechslungsreich und orientiert sich am DGE-Qualitätsstandard. Eine Menülinie bietet wöchentlich zweimal ein Fleischgericht, einmal ein Fischgericht und zwei vegetarische Gerichte an. Eine zweite Menülinie ist ausschließlich vegetarisch. „In den weiterführenden Schulen bieten wir zusätzlich eine Pasta-Station und eine Salatbar an. In den Kitas und Grundschulen stellen wir Gemüserohkost als Fingerfood her. Das ist zwar kostenintensiv, aber anders essen die jüngeren Kinder kaum Gemüse.“
Hohes vegetarisches Angebot
Das hohe vegetarische Angebot hat nur anfangs bei Eltern und Kindern für Unmut gesorgt. „Anfangs hatten insbesondere die Eltern Schwierigkeiten damit. Wir haben ungefähr anderthalb Jahre gebraucht, bis sich alle gewöhnt hatten“, erläutert Köchermann die anfänglichen Akzeptanzprobleme des fleischreduzierten Angebots. Die Eltern befürchteten, ihr Kind werde ohne Fleisch nicht satt. Auch bei den Schülern gab es Proteste. „Mädchen waren jedoch insgesamt aufgeschlossener, mehr Proteste gab es an Standorten, an denen viele Jungen aßen“, so Köchermann. „Vielen Jugendlichen war auch der Begriff vegetarisch nicht geläufig. Hier haben wir viel Aufklärungsarbeit geleistet.“ Köchermann und ihrem Team ist Nachhaltigkeit wichtig. „Wir argumentieren nicht mit dem gesundheitlichen Mehrwert, sondern schaffen Bewusstsein für Klimaschutz. Entscheidend für die Akzeptanz ist aber, dass die vegetarischen Gerichte lecker schmecken und schön zubereitet sind.“ Trotzdem ist Gemüse gerade bei Grundschülern eine schwierige Komponente. „Wir orientieren uns an den DGE-Portionsgrößen, die z. B. für Primarschüler 150 g Gemüse empfehlen. Diese Mengen essen die Kinder in aller Regel nicht. Wir erheben gerade die Lebensmittelreste, um hier sinnvoll gegenzusteuern.“
Vorteile des Modells
Durch die zentrale Steuerung der Verpflegung in allen städtischen Einrichtungen ist die Stadt in der Lage, direkten Einfluss auf Zielsetzung zu nehmen. „Wir können selbst gestalten und während des Entwicklungsprozesses immer wieder umlenken, sofern das erforderlich ist. Das wäre nicht so, würden wir die Verpflegung ausschreiben und die Bedingungen von vorne herein festlegen müssen. Außerdem können wir an uns wichtigen Zielen wie Klimaschutz oder Lebensmittelwertschätzung arbeiten und diese sukzessive mit den Beteiligten umsetzen“, listet Anja Köchermann die Vorteile auf. „Gemeinschaftsverpflegung ist eine große Aufgabe, die Weitblick und Interaktionen mit vielen Bereichen erfordert. Um alle Beteiligten – Kitas, Schulen, Eltern, Verwaltung, Küche und die jungen Essensteilnehmer – unter einen Hut zu bekommen, müssen wir alle Rahmenbedingungen kennen und dann ein miteinander abgestimmtes Konzept verwirklichen. Das erfordert stetige Kommunikation, die jemand lenken muss.“ Dass das Thema Schulverpflegung oft schwierig ist, liegt nach Ansicht von Anja Köchermann nicht unbedingt an der Qualität des Essens. „Es liegt meistens an den Umständen. Man muss genau zuhören und zwischen den Akteuren vermitteln. Dazu braucht es einen zentralen Kümmerer und gut ausgebildetes Personal, von der Geschäftsleitung über den Koch bis zur Küchenkraft“, ist sie überzeugt. Köchermann versteht sich daher als Moderatorin und Schnittstellenmanagerin. „Mein Fokus ist, immer wieder zu motivieren, um neue Wege zu finden.
Das Göttinger Modell auf einen Blick
- vier zentrale Produktionsküchen
- 88 tarif- und sozialversicherungspflichtig angestellte Beschäftigte
- Mitarbeiterschlüssel: jede Arbeitskraft ist für 80 – 120 Essen verantwortlich; teilzeitangestellt
- täglich 5.500 – 6.000 Mahlzeiten für 30 Ganztagsschulen und 13 Kitas
- Warmverpflegung, zusätzlich Kombidämpfer in einigen weiterführenden Schulen
- 5,5 Vollzeitkräfte in der Verwaltung für Qualitätssicherung und Abrechnung
- Teilnahmequote weiterführende Schulen: zwischen 5 und 69 %, im Durchschnitt 30 %
- Teilnahmequote Grundschulen: 65 %
- Essensteilnahme gehört in den Kitas und Grundschulen zum pädagogischen Konzept
- Mahlzeitenpreise gestaffelt:
- 3,52 Euro für Grundschüler im Abo
- 3,64 Euro für Sekundarschüler im Abo
- 3,88 Euro für Sekundarschüler bei Bestellung für den gleichen Tag bis 7:30 Uhr
- 3,95 Euro für Sekundarschüler spontan
- 4,60 Euro für Lehrer im Abo (4,84 Euro spontan)
- 53,50 Euro pro Monat für Kitas
- Belieferung der eigenen Einrichtungen spart die Mehrwertsteuer und senkt den Mahlzeitenpreis
- Preissteigerung Schulverpflegung seit 2013 von 3 % pro Jahr
- zentrale Hygiene- und Qualitätssicherung
- regelmäßige Speiseplanbesprechungen in den verschiedenen Settings
- einheitliches Hygiene- und Sicherheitsmanagement in allen Produktions- und Ausgabeküchen
- regelmäßige Küchenleiterbesprechungen und mehrmals jährlich Mitarbeiterschulungen
- EU-zertifizierte Produktionsküchen
- regelmäßige Audits in allen Einrichtungen
- Beratung vor Ort