Nie gab es mehr Aufklärung in Bezug auf gesundheitsfördernde Ernährung als heute. Doch wie finden Einrichtungsleiter das bestmögliche Verpflegungs-Konzept für ihre Bewohner und Mitarbeiter? (Von Ulrike Kossessa)
Eine der vielfältigen Herausforderungen vor denen Betreiber von Senioreneinrichtung stehen, ist die steigende Zahl von Senioren mit Demenz. Im Gerricusstift in Düsseldorf zum Beispiel beträgt das Durchschnittsalter 87 Jahre; rund 80 Prozent der hier lebenden Männer und Frauen sind an Demenz erkrankt. Für sie ist das Mittagessen nicht nur zum Erhalt der körperlichen Kräfte erforderlich, es ist der Höhepunkt des Tages, der ihnen Struktur, Orientierung und menschliche Ansprache gibt. Vor rund 1,5 Jahren stand Einrichtungsleiter Remy Reuter vor der Aufgabe, die Qualität des Essens zu optimieren, ohne die Kosten wesentlich zu steigern. Er fand die Lösung im Cook & Chill-Verfahren. Das Essen ist zwar ein wenig teurer, dafür spart er aber im Bereich Logistik und Personal, und die „frisch“ aufbereiteten Speisen kommen bei Bewohnern und Mitarbeitern gut an.
Andere Einrichtungen gehen wieder zum frischen Selber-kochen über. Sie wollen lange Standzeiten und Qualitätsverlust (Gefahr bei Warmanlieferung) vermeiden und ganz individuell auf die Bedürfnisse ihrer Bewohner eingehen. Einen Königsweg zur Seniorenverpflegung in Heimen und Residenzen gibt es nicht. Mögliche Konzepte wollen unter qualitativen und ökonomischen Aspekten abgewogen werden.
Mitarbeiterschulungen für Pflege- und Küchenkräfte sowie praxisnahe Anregungen zur Optimierung der Betriebsabläufe bieten zum Beispiel die Seminare der Chefs Culinar Akademie. Anfang Oktober leitete Iris Hassel zusammen mit ihrem Kollegen Uwe Merschmann das 2-tägige Seminar zum Thema „Konzepte in der Seniorenverpflegung – Qualität versus Wirtschaftlichkeit“. Rund ein Dutzend Fach- und Führungskräfte von Senioreneinrichtungen wurde nicht nur viel Wissen vermittelt; sie bekamen auch die Möglichkeit, ihre eigenen bestehenden Abläufe kritisch zu beleuchten und neue „Spielräume“ auszuloten. Wir sprachen mit der Chefs-Culinar-Dozentin Iris Hassel.
„Die meisten Küchen-Mitarbeiter würden am liebsten jeden Tag alles frisch kochen oder backen.“
Frau Hassel, was waren die drängendsten Anliegen der Seminar-Teilnehmer?
Rund die Hälfte der Teilnehmer suchte nach Hintergrundwissen und Lösungsansätzen, wie die Wirtschaftlichkeit des Küchenbetriebes verbessert und wie wegbrechende Umsätze mit Hilfe eines anderen Verpflegungskonzeptes möglichst aufgefangen werden können. Die andere Hälfte kam von der konzeptionellen Seite her und meinte, das Verpflegungskonzept, das sie vor rund 10 Jahren eingeführt hatten, greife heute nicht mehr. Ihr Ansatz werde den Bewohnern, die heute zu ihnen kommen, nicht mehr gerecht. Sie benötigten eine ganz andere, deutlich pflegeintensivere Betreuung als die, die zum Beispiel das Hausgemeinschaftskonzept vorsieht.
Welche aktuellen pflegewissenschaftlichen Konzepte gilt es in die Verpflegungsabläufe zu integrieren?
Aus pflegewissenschaftlicher Sicht weiß man, dass in Einheiten mit zehn bis zwölf Bewohnern die Lebensqualität und das Wohlbefinden der zu betreuenden alten Menschen nachweislich höher ist als in großen Gruppen (20 bis 30). Insbesondere demenziell veränderte Menschen profitieren von der besseren Betreuungsmöglichkeit in kleineren Hausgemeinschaften. Hier können Alltag und Rituale Struktur, Orientierung und somit Sicherheit geben und gleichzeitig das „Fremdsein“ und die „Weglauftendenzen“ deutlich verringern.
Pflegefachkräfte sollen Bewohner und Angehörige in allen Bereichen der Ernährung fachkundig informieren, beraten und/oder anleiten. Wo liegen hier die größten Herausforderungen?
Aus meiner Sicht kommen zwei wesentliche Aspekte zum Tragen. Erstens: Bei der Beratung von Bewohnern und Angehörigen bedarf es fundierter fachlicher Kenntnisse über die allgemeine gesunde Ernährung und die Vermeidung von Mangelernährung bis hin zu Speisenangeboten bei Kau- und Schluckstörungen. Hier ist ein sehr guter Austausch zwischen den Bereichen Pflege und Küche notwendig, um beide Sichtweisen und Ansätze im erforderlichen Maß zusammen zu bringen. Auch dabei kommt schon Aspekt zwei zum Tragen, die kommunikative Kompetenz. Die Mitarbeiter müssen in der Lage sein, komplexe Sachverhalte nachvollziehbar erklären und entsprechende Empfehlungen wertschätzend beziehungsweise ohne erhobenen Zeigefinger weitergeben zu können. In vielen Einrichtungen belastet nicht nur häufig wechselndes Personal den Bereich Pflege; auch der Einsatz von Teilzeitkräften, von Aushilfen und Menschen aus anderen Kulturen erschwert sowohl die Kommunikation untereinander als auch die Beratung der Angehörigen.
Wie können Einrichtungen gute Fachkräfte gewinnen und an sich binden?
Zu diesem Thema gibt es viele Ideen, der Alltag macht deren Umsetzung in die Praxis jedoch meist schwierig. Mögliche Antworten auf die Frage „Was macht den Arbeitsplatz für mich attraktiv?“, sind bunt und individuell sehr verschieden. Während Mitarbeiter A eine adäquate Bezahlung für wesentlich erachtet, legt Mitarbeiter B vor allem Wert auf Weiterbildungs- bzw. Aufstiegsmöglichkeiten. Für die meisten Kräfte sind ein gutes, wertschätzendes Arbeitsklima und ein sichere Arbeitsplatz wichtig. Sie wollen Anerkennung dafür, dass sie einen wertvollen Beitrag bei der Versorgung hilfsbedürftiger Menschen leisten. Hier wird jede Einrichtung im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Weg finden müssen.
Inwieweit bieten sich „Convenience-Produkte“ für die Verpflegung in Seniorenheimen an?
Die meisten Küchen-Mitarbeiter, die ich kenne, würden am liebsten jeden Tag alles frisch kochen oder backen; der sehr überschaubare Personalrahmen zwingt die Verantwortlichen jedoch dazu, eher punktuell nur einzelne Komponenten frisch zuzubereiten. Die Herausforderung liegt heute darin, die eingesetzten Convenience-Produkte zu veredeln, ihnen eine persönliche Note zu geben.
Ist das Cook & Chill-Verfahren eine gute Alternative zur Warmanlieferung bzw. zum frischen Kochen?
Es gibt heute sehr gute Produkte, die mit Hilfe verschiedener Verfahren wie Cook & Chill oder auch Sous Vide hergestellt werden können. Bei Cook &Chill werden die Komponenten bis kurz vor den Garpunkt zubereitet und dann innerhalb kurzer Zeit (90 min.) runtergekühlt (gechillt) auf unter 4°C. Die Regenerierung führt dann zum 100%igen Garpunkt, die Speisen kommen „wie frisch aus dem Ofen“. Das Sous Vide Verfahren ist auch bekannt als „Vakuum-Garen“; die Speisen werden in einen Kunststoffbeutel eingeschweißt und im Niedrigtemperaturbereich im Wasserbad gegart. Beide Verfahren sind vor allem für jene Häuser interessant, in denen „hochaltrige“ Gargeräte nur noch ein „Nach-einander-kochen“ zulassen und somit sehr lange Standzeiten produzieren. Hier sind qualitative Verbesserungen durch den Einsatz von vorproduzierter Ware möglich.
Wenn Betreiber von Seniorenheimen ihre Betriebsabläufe in der Küche optimieren wollen oder müssen – wie sehen die ersten Schritte aus?
Besteht Bedarf, dann macht es Sinn, sich Sachverstand von außen zu holen. Externe Berater bringen die Expertise mit, den aktuellen Stand der Branche zu Daten, Fakten und möglichem Technikeinsatz. Sie verfügen über Erfahrung beziehungsweise den Einblick in verschiedene andere Häuser, die alle ihre eigenen Lösungswege gefunden haben. Zu Beginn einer Beratung wird zunächst der Status Quo erhoben, gilt es, die Ansatzpunkte zur Optimierung aber auch die Stärken der Küche aufzudecken. Anschließend werden Lösungswege entwickelt, Kosten kalkuliert und Prozesse beschrieben, und deren Umsetzung auf Wunsch auch begleitet.