Digitales Know-how ist rar in der Branche. An der Hochschule Fulda studieren nun die ersten Digital Natives.
Studienziel: Wirtschaftsingenieur mit Schwerpunkt Großküchentechnik. (Von Stefanie Hattel)
Dass es im Großküchenlabor des Fachbereichs Oecotrophologie an der Hochschule Fulda nicht nur ums Kochen geht, sieht man sofort: Fast ebenso viel Raum wie der Block mit den Gargeräten nehmen die Desktop-Arbeitsplätze im Hintergrund der Küche ein. Jeder Verarbeitungsschritt eines Lebensmittels wird hier aufgezeichnet. Dank ITgestützter Prozessleittechnik lässt sich der Wertschöpfungsprozess lückenlos nachvollziehen.
Aufgezeichnet werden sämtliche Geräteund Raumparameter: Kerntemperatur des Lebensmittels im Lager und Gargerät und während der einzelnen Produktionsschritte, dazu Energie- und Wasserverbräuche aller Geräte sowie Luftqualität, -strömung und Abluftpartikel. Sogar Schallpegel und Lichtintensität werden gemessen. „So lernen die Studierenden den Umgang mit Gerätetechnik in einem größeren Kontext“, erklärt Studiengangsleiterin Professor Dr. Stephanie Hagspihl. Ihre Studenten sind Mitarbeiter in einem Betrieb der GV oder Lebensmittelindustrie und studieren berufsbegleitend im Dualen Bachelor-Studiengang, Studienziel: Wirtschaftsingenieur/ LifeCycle Catering. „Wir prüfen, welche Auswirkungen Cook & Chill auf die Beschaffenheit eines Lebensmittels hat. Ergänzend wird das Lebensmittel dazu im benachbarten Sensorik-Labor auf Farbe, Konsistenz und Druckfestigkeit untersucht.“
Digital aufgeschlossen
So lassen sich nicht nur messbare Aussagen über die Qualität der Produktionsbedingungen des jeweiligen Gerichts, sondern auch über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten treffen. Ziel ist es, den Studierenden ein prozessorientiertes Qualitätsmanagement für Großküchen näherzubringen und dabei auch Arbeitsschutz, Hygiene, Umwelt- und Energiemanagement einzubeziehen. Nach Abschluss des Studiums sollen die Absolventen in der Lage sein, Küchensysteme und Produktqualität sowohl nach wirtschaftlichen als auch nach nachhaltigen Gesichtspunkten zu beurteilen und dabei aufgeschlossen für den Einsatz digitaler Technik sein. Praktisch sieht das so aus: Alle Küchengeräte sind miteinander vernetzt, an jedem Küchenblock ist ein Panel mit Energiezählern oder Wasseruhren angebracht. Alle übrigen Daten werden über Funksensoren und Messfühler erfasst. So haben die Laboranten den Ist-Stand eines jeden Geräts zu jedem Zeitpunkt im Blick. Gleichzeitig werden die Mess-Ergebnisse digital in einen Datenpool gespeist, der an den fünf Desktop-Arbeitsplätzen im Hintergrund des Labors ausgelesen, visualisiert und analysiert werden kann.
IT-Dienstleister für die GV
Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass sich die Gerätedaten unterschiedlicher Hersteller in einer gemeinsamen Datenbank sammeln lassen. „Die meisten Hersteller bieten zwar eine Dokumentation zu ihren eigenen Geräten an, aber nicht für mehrere Geräte, geschweige denn für den gesamten Küchenprozess“, sagt Professor Hagspihl. Sie holte sich deshalb Unterstützung aus der IT-Industrie. Das IT-Unternehmen m2m systems GmbH in Würzburg hat sich auf die Machine-to-machine-Kommunikation spezialisiert und versteht sich als Dienstleister für Großküche und Gemeinschaftsverpflegung. Auch das Datennetz des Großküchenlabors der Hochschule Fulda ist eine m2m-Schöpfung. Kernprodukt ist das Managementsystem Küche 4.0, eine herstellerunabhängige IT-Plattform, die Daten aus verschiedenen Geräten, Sensoren oder Interfaces zusammenführt.
Transparenz durch „On Board“-Intelligenz
Im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts mit der Hochschule Fulda spann das Unternehmen das Netzwerk zwischen Produkt und Geräten weiter und entwickelte das Chip-System PIPS (Product Information Push System), das Produktionschargen mit einer Art „On Board“-Intelligenz ausstattet. „Der Chip hat die Kennwerte ,seines‘ Produkts gespeichert und wandert während der gesamten Produktionskette mit“, erklärt Rainer Herrmann, Geschäftsführer von m2m systems. Mit Messfühlern ausgestattet, misst der Chip Umgebungstemperatur und Standort und kommuniziert über Access- oder Touch-Points mit den Netzwerkteilnehmern, hier: den Küchengeräten. „Etwas überspitzt lässt sich sagen, in der Küche 4.0 steuert der Chip die Produktion“, so Herrmann.
Etwa, wenn die mit PIPS-Sensor ausgestattete Charge ihre Kennwerte und Daten – wie die Kerntemperatur – an das Bain-Marie in der Speiseausgabetheke funkt, damit diese sich zum Warmhalten auf die selbe Temperatur einregelt, nennt Rainer Herrmann ein Anwendungsbeispiel. Im Personalkasino einer großen deutschen Fernsehanstalt ist es bereits umgesetzt. „Das spart Energie, weil das Wasserbad so nicht ständig auf voller Temperatur beheizt werden muss und schont dank festgelegter Grenzwerte wie Bevorratungszeit, maximale und minimale Temperatur das Lebensmittel“, ergänzt Herrmann.
Zwar ist der PIPS-Sensor fähig, die Beschaffenheit des Lebensmittels über die gesamte Prozesskette hinweg, von der Erzeugung des Gerichts bis zum Tischgast, aufzuzeichnen. Rainer Herrmann rät seinen Kunden aber, „behutsam auszurüsten“, wie er sagt, „zuerst dort, wo der beste Kosten-Nutzen-Faktor herausgeholt werden kann. Weiter ausrüsten kann man später immer noch.“ Neben den Initialkosten gibt es nämlich eine weitere Hürde zu überwinden: „Trotz der hohen Leistungsfähigkeit des Chips ist es nicht sinnvoll, für die Geräte jedes einzelnen Herstellers ein eigenes Datenprotokoll anzulegen. Besser wäre es, für alle Küchen im Netzwerk gemeinsame Datenformate zu definieren.“ Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits getan: Der HKI hat den Arbeitskreis „Schnittstelle“ gegründet. Hier legen die Hersteller gemeinsame Ausgabeformate fest.
Hauptargument HACCP
Das Hauptargument für PIPS ist nach wie vor die HACCP-Kontrolle. Mit dem Sensor sind die Werte der kritischen Kontrollpunkte bis auf Produkt-, Gebinde- und Chargenebene lückenlos nachweisbar. Chargen im Tiefkühllager oder Schockfroster und Cook & Chill-Chargen wären hier zu nennen. Mit Hilfe der Geräte- und Sensordaten alarmiert das System bei Unregelmäßigkeiten. Mit einer normal verlaufenden Dokumentation muss sich der HACCP-Verantwortliche also gar nicht befassen.
„Küche 4.0 bedeutet: Der Koch kann sich wieder voll und ganz auf seine Stärken konzentrieren. Denn Automatisierung bedeutet Entlastung von Routinetätigkeiten“, sagt Herrmann und spielt auf die gestiegenen Dokumentationspflichten in der Gastronomie an. Gelegentliche Skepsis gegenüber 4.0-Technologien nimmt er dennoch wahr: „Die produzierende Industrie setzt in hohem Maße auf Möglichkeiten und Vorteile von 4.0. Die GV-Branche jedoch verharrt generell abwartend.“ Umso wichtiger ist es, digitale Expertise frühzeitig aufzubauen – zum Beispiel im Großküchenlabor der angehenden Wirtschaftsingenieure in Fulda.