Zuerst war es bloß Quatsch mit Soße. Dann wurde einem Jugendlichen in Mannheim klar, dass er gerade ein erfrischendes Kultgericht für den Sommer entwickelt hat: Das Spaghetti-Eis war geboren. Ein halbes Jahrhundert ist das jetzt her.
Ein wenig war es wie bei Kolumbus, der Indien suchte und stattdessen Amerika fand. Voller Forscherdrang wollte der 17-jährige Dario Fontanella in der Eisdiele seines Vaters in Mannheim mit Hilfe einer Spätzlepresse eine grün-weiß-rote italienische Fahne aus Pistazie, Zitrone und Erdbeere gestalten. Doch aus der Presse quellen bloß bunte Eisnudeln. Das Experiment am 6. April 1969 misslang zwar – aber das Spaghetti-Eis war geboren. Am 6. April 2019 wird das süße Kultgericht 50 Jahre alt. „Es war eine geniale Idee“, sagt Fontanella, der in Mannheim heute zwei Eisdielen betreibt.
Der eiskalte Klassiker gehe mittlerweile in Deutschland tausendfach über die Tresen, erzählt Fontanella. Dabei war seine Entdeckung anfangs keine Erfolgsgeschichte. Kinder begannen zu weinen, erinnert sich der heute 67-Jährige. Denn statt des Eisbechers bekamen sie scheinbar Nudeln mit Tomatensoße. So echt wirkte das Spaghetti-Eis.
„Mein Vater war unsicher, ob man das den Kunden anbieten konnte“, erzählt Fontanella. „Aber schließlich stimmte er zu.“ Mittlerweile ist das Spaghetti-Eis fast Standard, und Fontanella beliefert längst auch Spitzenköche wie Tristan Brandt. „Nicht der Name Fontanella entscheidet, sondern Qualität und Geschmack“, sagt Brandt, der in Mannheim ein Sterne-Restaurant betreibt. „Bei Blindverkostungen merkt man, dass es ein besonderes Eis ist. Es verklebt nicht den Mund.“
Das Geheimnis von Spaghetti-Eis
Aber was ist das Geheimnis von Spaghetti-Eis? Fontanella lacht. „Geheimnis? Es gibt eigentlich keins“, sagt der Sohn eines italienischen Einwanderers und einer Deutschen. Einen Trick gibt es, aber: Die Spätzlepresse muss schockgefroren werden, sonst kommt Matsch heraus. Der Verkaufshit besteht aus Vanilleeis, Erdbeersoße und weißen Schokostreuseln. Anfangs gab es dazu keine Sahne. „Einige Gäste bestellten aber Sahne, das sah nicht schön aus. Da habe ich die Sahne unter dem Eis versteckt, das macht die Portion auch größer.“
Fontanella ist stolz auf seine Kreation, aber eins wurmt ihn: dass er damals nicht doch die 900 D-Mark Gebühr zahlte, um sich das Eis patentieren zu lassen. Überlegt habe er, aber die Idee dann doch beiseite geschoben, sagt der Eis-Fabrikant. Mit einem Patent hätte er den Beweis, dass die Erfindung von Ostersonntag 1969 ihm gehört.
„Es gibt zwar kein Patent, aber wir hatten nie schriftliche Einwände“, sagt Annalisa Carnio von Uniteis, der Union der italienischen Speiseeishersteller. Für viele sei Spaghetti-Eis längst zum Symbol für italienisches Eis in Deutschland geworden. „Es ist ein altersloser Klassiker, ein wenig wie eine Legende“, meint Carnio.
Vererbte Leidenschaft
„Die Leidenschaft für Eis habe ich von meinem Papa“, sagt Fontanella. Sein Vater Mario war 1931 aus den Dolomiten nach Hannover gezogen, 1933 dann nach Mannheim. „Das Klima und die herrliche Umgebung mit vielen Weinbergen erinnerte an Italien“, sagt Dario Fontanella. Er wurde am 7. Januar 1952 in Mannheim geboren und ging zunächst in Italien zur Schule. 1969 kam er zurück und übernahm 1985 den Betrieb.
Und noch eine Leidenschaft hat Fontanella: den Sport. „Mein Vater fuhr Autorennen, mein Bruder Motocross, und ich Ski“, schildert er. Sein Herz schlägt unter anderem für den Formel-1-Rennstall Ferrari. „Ich mochte zum Beispiel den leidenschaftlichen Fahrer Niki Lauda“, sagt er. Mit dem Österreicher verbindet ihn eine Geschichte: Als Lauda nach seinem schweren Unfall auf dem Nürburgring 1976 in einem Mannheimer Krankenhaus liegt, bittet Italiens Generalkonsulat in Stuttgart Fontanella um Hilfe beim Kontakt mit deutschen Behörden.
Mit Spaghetti-Eis fing für Fontanella das Experimentieren an. Derzeit bietet der 67-Jährige auch etwa die Geschmacksrichtungen Kurkuma-Ingwer oder Gorgonzola-Mascarpone an. Seine Kunden mögen das. „Auch die Deutschen haben mehr Spaß am Experimentieren“, meint Fontanella. Anteil daran habe das Fernsehen. „Die TV-Köche haben die Fantasie der Zuschauer angereichert. Auch deshalb können wir jetzt zeigen, was wir können.“
Das konnte Fontanella im vergangenen September auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigen – am Stand von Uniteis mit Mitgliedern der Accademia Gelateria Italiana in Schloss Bellevue in Berlin. Die Begeisterung ist dem Mannheimer immer noch anzumerken. Zwar habe Steinmeier beim Bürgerfest kein Spaghetti-Eis gegessen. „Aber es war trotzdem ein riesiges Erlebnis“, schwärmt der vierfache Vater.