Der Spitalmarkt und das Gesundheitswesen zählen auch in der Schweiz zu den größten Wachstumsmärkten. Entsprechend groß ist der Wettbewerb. Im Universitätsspital Zürich (USZ) ist die Gastronomie deshalb Teil der Führungsebene: Wirtschaftlichkeit beginnt in der Küche. (Von Stefanie Hattel)
Am Speisenverteilband gibt die Symbolcard das Kommando: Jede Farbe und Zahl steht für eine Speisenkomponente, ein Plus oder Minus gibt die Menge an. Es gibt ganze, halbe oder 1 ½ Portionen, auch Zwischenabstufungen. Individuell auf den Patienten abgestimmt, intuitiv und schnell auszuführen für den Mitarbeiter – so funktionieren viele Prozesse in der zentralen Produktionsküche des Universitätsspitals Zürich (USZ).
„Anfang des Jahres hat das USZ flächendeckend auf Hotellerie-Betrieb umgestellt“, erklärt Thomas Marti, Leiter der Abteilung Küchen. „Das heißt: der Patient genießt während seines Spitalaufenthalts den Komfort eines Hotelgasts. Das Motto lautet: Patient first. Damit erfährt auch die Gastronomie eine stärkere Gewichtung.“ Für die Mitarbeiter dort bedeutet das zunächst mehr und andere Schnittstellen. Denn das Aufgabenspektrum der Gastronomie ist enorm: Neben der Patientenverpflegung, zu der auch Hotellerie und Ernährungsberatung gehören, versorgt sie drei Personalrestaurants, eine Cafeteria, eine Cafébar, zwei Kioske und Bistros, eine betriebliche Kindertagesstätte und das Kongress-Catering.
In der Patientengastronomie werden am Tag 2.100 Essen und 35 Kostformen ausgegeben, darunter „Vita“ oder „herzgesund“ für Diabetiker, energiereich, gluten- und laktosefrei und koscher. In der Mitarbeitergastronomie sind es täglich knapp 4.000 Essen. Pro Tag sind das etwa 20 verschiedene Gerichte. Um nicht nur Angebotsbreite, sondern auch Angebotstiefe zu bieten, werden im Menüwahlsystem Sanalogic rund 2.000 Artikel mit Nährwertindikation, Preisen und Allergeninformation gepflegt. Insgesamt sind 5900 Rezepturen hinterlegt.
Um die Abläufe zu kanalisieren, wurde nicht nur die Führungsebene umgebaut und stärker ausdifferenziert, auch die Gastronomie hat sich neu aufgestellt. Als eine von sechs Bereichen ist sie direkt der Betriebsdirektion unterstellt. Auch die Ebene der Gastronomie ist stärker untergliedert: in die Abteilungen Küchen, den Thomas Marti leitet, Restauration, Food & Beverage und Kundendienst. Sogar eine spitaleigene Pâtisserie gibt es. Dort werden Torten, Desserts und handgemachtes Eis hergestellt. Zum Geburtstag erhält jeder Patient einen Geburtstagskuchen – auch das ist digital hinterlegt. Das Küchenmannschaft besteht aus 140 Mitarbeitern aus 19 Nationen, darunter 45 Fachkräfte. Gemeinsam bilden sie fünf Teams mit je eigenem Gruppenleiter: Mitarbeitergastronomie und Catering / Patientengastronomie und Diätküche / Koordination und Zentrale Abwaschküche / Produktion und Support.
Stärkere Verflechtung
Was auf den ersten Blick nach starker Hierarchisierung aussieht, sorgt in der Praxis für bessere Verflechtung: Jeder Mitarbeiter hat seinen festen Platz und feste Ansprechpartner, weiß genau, wer für was zuständig ist, wer welche Aufträge erteilt und entscheidet. „Dadurch, dass unsere Kundengruppen differenzierter und zahlreicher geworden sind, sind auch die Abläufe komplexer geworden“, erklärt Marti. „Die Herausforderung besteht nun darin, den Wünschen aller Anspruchsgruppen gerecht zu werden. Das geht zum einen durch stabile und klare Rahmenbedingungen, zum anderen durch Standardisierung.“
Vieles läuft dabei digital, beinahe der gesamte Küchenprozess wird von Sanalogic gestützt. Das spiegelt sich auch in der Küchenaufteilung: Die rund 2400 m2 Produktionsfläche sind von mehreren Büros gesäumt, den Schaltzentralen der Gruppenleiter. Hier werden Angebote erstellt, Bedarfszahlen ermittelt, Bestellungen und Einsatzpläne geschrieben, der Wareneingang überwacht – und Patientenkarten und Produktionspläne geschrieben. Denn der Patient soll sich als Gast fühlen, mit allem Komfort wie im Hotel.
„Die Gastronomie unterstützt mit ihren Dienstleistungen das Wohl und die Zufriedenheit der Patienten, Mitarbeitenden und Gäste und trägt somit zum Kernprozess des Universitätsspitals bei“, zitiert Marti einen der Leitsätze des Betriebs. „Es ist zwar nicht in Zahlen messbar, aber ich bin sicher, gutes Essen, ansprechend präsentiert, trägt zum Wohlbefinden und eventuell auch ein bisschen zur schnelleren Genesung bei.“
Er selbst steht nicht mehr viel in der Küche. „Meine Aufgabe ist es, die hygienisch einwandfreie, wirtschaftliche Küche nach den Vorgaben des USZ zu gestalten und handlungsfähig zu halten“, erklärt er. „Das bedeutet: Management und taktische Planung.“ Dabei setzt er auf Teamgeist und Eigenverantwortung seiner Mitarbeiter. Das Wichtigste dabei? „Die Motivation“, sagt er.
Marti war von 2002 bis 2006 Mitglied der Schweizer Nationalmannschaft der Köche. Damals war er Sous-Chef im Vier-Sterne-Hotel Storchen und Mitglied des Cercle de chefs, einer Vereinigung junger Köche in Zürich. Vier Jahre lang hatte das Team auf die Ausscheidung hingearbeitet und dann im Team gewonnen. „Erfolg motiviert zu noch höheren Leistungen“, resümiert Marti. In Folge holte die Mannschaft mehrere Goldmedaillen: beim Culinary Challenge in Singapur zum Beispiel oder bei der Olympiade der Köche in Erfurt.
Der Benchmark der Spitäler
Im Wettbewerb steht Marti noch immer. „In der Schweiz gibt es einen hohen Benchmark zwischen den Universitätsspitälern“, erklärt er. Die fünf Universitätsspitäler haben untereinander einen freiwilligen Kosten- und Leistungsvergleich vereinbart. „Zum Teil stimmt man sich ab, zum Teil versucht man sich besser als andere zu positionieren.“ Hier ist die Gastronomie gefragt. „In der Schweiz können die Patienten ihr Spital frei wählen. Die Medizin kann man ja als Patient nicht selbst beurteilen“, sagt Marti. „Die Gastronomie schon. Wenn das medizinische Angebot bei mehreren Einrichtungen vergleichbar ist, ist es oft die Qualität der Gastronomie, die letztlich über die Wahl des Krankenhauses entscheidet.“
2015 gelang es, 100.000 zusätzliche Mahlzeiten mit 30 % weniger Warenkosten zu produzieren. Wie das geht? „Wir produzieren zu 80 % Frischkost“, sagt Marti. „Einen Teil unserer Convenience stellen wir selbst her. Inzwischen haben wir nicht mehr so viele Lieferanten und beziehen bei den verbliebenen ein höheres Einkaufsvolumen zu besseren Konditionen. Außerdem nutzen wir Synergien. Wir kochen nicht jedes Produkt von Grund auf neu, sondern variieren. Auch wenn wir für Mitarbeiter und Patienten unterschiedliche Angebote machen: die Tagessuppe ist für jeden gleich.“
Das schafft Identifikation und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Bis sich am Ende eines Produktionstags dann folgendes Bild ergibt: Alle verfügbaren Kräfte stehen gemeinsam am Speisenanrichteband und portionieren – auch die Köche. Denn wie es sich für einen guten Koch gehört, weiß am USZ jeder von ihnen bis ins Detail, was auf dem Teller ist, wenn dieser die Küche verlässt.