Jens Krüger, Geschäftsführer von TNS Infratest, hat sich von der Entstehung bis zum Ergebnis anderthalb Jahre mit der Zukunftsstudie „Wie is(s)t Deutschland 2030?“ beschäftigt. Für den Soziologen war wichtig, das Thema Konsum in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Welche Erkenntnisse er dabei gewann, die für die GV-Branche eine wichtige Rolle spielen, darüber sprach er mit Catering Management. (Von Martina Emmerich)
Eines der Ergebnisse der Studie ist, dass 2030 das Essen als Gemeinschaftserlebnis gesehen wird. Wie sehen Ihrer Meinung nach die Kantinen der Zukunft aus?
Das gemeinschaftliche Essen hat viel damit zu tun, wie die Wohn- und Arbeitswelt 2030 aussieht. Wir gehen einerseits davon aus, dass wir mehr Singles und Patchworkfamilien haben, was auf Prognosen des Statistischen Bundesamtes beruht. Andererseits wird es durch bestimmte Prozesse und Effizienz keine Mittagspausen in der heutigen Form mehr geben. Die firmeneigenen Kantinen werden abnehmen, da die Firmen immer mehr ihre Arbeitsbereiche und damit die Mitarbeiter outsourcen. Mental und räumlich gesehen vereinsamen die Menschen immer mehr. Um dem entgegen zu wirken, werden Kantinen der Zukunft hinsichtlich ihrer Funktion nicht mehr nur der Verpflegung dienen, sondern auch Räume für Austausch, Gemeinschaft und Kommunikation sein. Wir stellen uns im Zukunftsszenarium öffentliche Kantinen vor, in denen Menschen aufeinander treffen. Es muss zudem Angebote für Firmenmitarbeiter, Freelancer und Gäste im Allgemeinen geben. Das beginnt bei der Möglichkeit, einen Tisch, Gesprächsräume oder Arbeitsnischen mit Informationsterminals zu reservieren, und setzt sich damit fort, dass jeder Gast Speisen bekommen kann, die auf den jeweiligen Ernährungsstil zugeschnitten sind.
Personalisierte Ernährung in einer öffentlichen Kantine – wie soll das funktionieren, gerade im Hinblick auf Datenschutz. Sehen Sie schon eine Lösung dafür?
Die Menschen teilen doch heute schon ihre Informationen und Vorlieben in Facebook. Es gibt einen Werbespot, in dem die beiden Protagonisten einen Wettbewerb austragen und das Ergebnis samt ihrer Typisierung ins Netz stellen. Welcher Ernährungstyp ich bin wird später kein Geheimnis mehr sein. Wir sind heute doch schon gläserne Menschen. Die Debatte wird obsolet sein. Wir wägen alle ab, welche Vorteile wir davon haben, wenn wir Daten preisgeben. Aus meiner Sicht, können wir dabei nur gewinnen: mehr Kontakte, besseres Leben und Essen, mehr Zeit. Dafür gebe ich doch gerne ein paar weitere Daten von mir ab, heute vielleicht noch unbewusst. Wer sich aber in Zukunft davor verschließt, wird am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilhaben. Die Frage ist, ab wann wir bereit sind, Daten freizugeben? Wenn ich mich in einer Kantine zum Essen anmelde und diese meine Essensvorlieben, meinen Gesundheitsanspruch und meine Unverträglichkeiten kennt, wird der Prozess der Bestellung viel schneller gehen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Kollegen nicht mitbekommen, welche Krankheiten und Unverträglichkeiten ich habe. In dem Moment, in dem die Vorteile größer sind, wird die Adoptionsgeschwindigkeit für neue Angebote und Services steigen.
Das Nahrungsangebot der Zukunft: Algen, In-Vitro-Fleisch und Insekten-Burger – wie werden solche Alternativen an die verschiedenen Zielgruppen in der GV herangeführt?
Wenn ich mir nun die einzelnen Zielgruppen der Gemeinschaftsverpflegung anschaue, spielt nicht das Essen selbst, sondern meist die Vermittlung neuer Produkte eine Rolle: Ich denke, dass im Care-Bereich alternative Eiweißprodukte schnell Einzug halten werden, da hier Health Food und personalisierte Ernährung heute schon eine enorme Rolle spielen. Im Bereich der Schulverpflegung ist Aufklärung sehr wichtig und die Wertigkeit muss vermittelt werden: Wo kommt das Essen her, was ist der Wert von Lebensmitteln? Das wird heute nicht mehr vermittelt. Insofern ist die Schule ein wichtiger Punkt, um das Thema Essen mit in die Bildung zu integrieren.
Welche Rolle kommt bei der Vermittlung den Köchen und Servicekräften in der Kantine zu?
Die Köche und Servicekräfte können den Gast beraten und ihm helfen, eine Konsumentscheidung zu treffen. Die Entscheidungen werden vom Personal in der Gemeinschaftsverpflegung mitgetragen und sie werden ein Treiber für diese Entwicklung sein. Gesunde und nachhaltige Ernährung kann vom Koch vermittelt werden. Zukünftig werde ich als Gast und Konsument auch an der Essensausgabe fragen: Wo kommt mein Essen her? Im Grunde haben alle Gemeinschaftsverpfleger und Caterer die Chance, das Thema zu vermitteln. Auch hier ist es wichtig, dass es Vorbilder dafür gibt. Wir tun so, als ob die genannten Beispiele für alternative Eiweißlieferanten abgefahren wären. In Belgien bekomme ich schon jetzt Eiweißersatzpulver für Frikadellen, das aus Insekten besteht. Es gibt Kaviar aus Algen und Kekse aus Grillen. Es wird experimentiert. Eventköche greifen das Thema mit Promis auf, es kann aber genauso gut ein Schulverpfleger sein, der die hemmenden Barrieren abbaut. Die Studie hat gezeigt, dass die breite Masse offen für neue Verpflegungskonzepte und innovative Produkte ist. Von daher müssen auch Gemeinschaftsverpfleger und Caterer mit ihren Teams Fragen stellen, neue Produkte von der Industrie fordern, offen und neugierig sein, Dinge ausprobieren sowie sich auf die Bedürfnisse der Gäste einstellen. Zudem müssen sie für Anfragen der Gäste gewappnet sein, die kommen werden.
Wie kann ein Gemeinschaftsverpfleger – gerade in Hinblick auf den Trend zu öffentlichen Kantinen – ein entsprechendes Angebot schaffen und wie wirkt sich das auf das momentan so beliebte To-Go-Geschäft aus?
Ich denke, dass viele kleine Betriebe die Anforderungen an die zukünftigen öffentlichen Kantinen nicht mehr leisten können. Es wird Kooperationen mit verschiedenen Unternehmen geben, große Caterer werden in das Thema einsteigen, wie beispielsweise Sodexo es bereits vorlebt. Kantinen können aber auch von Unternehmen subventioniert werden, da die outgesourcten Mitarbeiter dort ebenfalls verpflegt werden sollen. Zusätzliche Angebote wie Kochkurse oder Austauschplattformen, um neue Businesskontakte zu knüpfen, werden zudem notwendig sein. Fakt ist, dass das Essen zu Hause abnehmen wird. Gemeinschaftliches Essen wird es mittags im Arbeitskontext geben. Durch den Leistungsdruck und den Zeitmangel wird aber auch das To-Go-Geschäft weiter zunehmen. Für leistungsorientierte Menschen bedeutet Essen, Zeit zu verlieren. Für sie wird eine frische, personalisierte Ernährung für unterwegs – to go – wichtig sein.